So lautete die Einladung zum Konzert am Samstag den 03. Juni in die Moabiter Heilandskirche. Die „Arche Noah“ wurde 2008 von der Pianistin und Musikdozentin Roswitha Aulenkamp komponiert.
Es handelt sich um ein szenisches Musikstück und wurde seitdem mehrmals im Kasseler Raum aufgeführt. Anfang Juni war es zum ersten Mal in Berlin zu hören und zu sehen.
Der Inhalt wurde für die Uraufführung in der Kirche von Ziegenhain bei Schwalmstadt so zusammengefasst:
„Eine gewaltige Umweltkatastrophe bedroht die Menschen von Ziegenhain und sie starten in der „Arche Noah“ in die Zukunft. Sie verfassen „Botschaften an die Zukunft“, Zeugnisse ihres persönlichen Gewordenseins, Schriftstücke und Dokumente ihrer Stadt, ihrer Produktionsstätte und ihres Lebensraums. In einer feierlichen Zeremonie wird die Arche, tief in der Erde zum „Ort ihres stehenden Bewegtseins“ gebracht. Die Arche startet in eine zukünftige Welt. Dort wird sie in fernen Zeiten wieder auftauchen und Zeugnis von der Gegenwart der Menschen der Stadt Ziegenhain ablegen.“
Roswitha Aulenkamp hat die zweiteilige Komposition nach dem Buch „Die Bleiarche“ des Homberger Autors Hans-Joachim Bauer komponiert. Texte aus dem Alten Testament und der „Sonnengesang“ des Hl. Franziskus sind ineinander verwoben. Die Partitur ist auf zwei großen Holzpyramiden visualisiert. Sie und deuten im Gegenüber betrachtet Bug und Heck der Arche an. Zur modernen Musik wird den ZuhöreInnen ein optisches Erlebnis geboten.
Darüber hinaus symbolisieren die Pyramiden das Bleibende und Dauernde, wie es uns die ägyptischen Pyramiden vor Augen führen, die ein lebendiges Zeugnis einer großen fernen Epoche ablegen: Lebendiges Zeugnis an die Zukunft…! Diese Bedeutung verstärkt das Stück dadurch, dass der Schlagzeuger die Hälfte des Konzerts – für das Publikum unsichtbar – in einer der Pyramiden spielt und die Töne und Schläge aus den Tiefen der Erde aufzusteigen scheinen.
Die Vorbereitung des Konzertes in Berlin erforderten einigen Aufwand und Idealismus.
Die Musiker mussten in Berlin gefunden werden und konnten erst einen Tag vor der Aufführung mit Roswitha Aulenkamp, der Komponistin und Pianistin, proben. Gewonnen wurden:
- Susanne Köhler (Instrumentalpädagogin), Querflöte
- Frank Fiedler, Schlagzeug
- Theodor Hoffmeyer (Opernsänger), Stimme
- Michael Reichert (Kirchenmusiker), Orgel, Sprecher
- Michael Rannenberg (Pfarrer i.R.)
Die schwere großen Holzteile der Pyramiden mussten von Schwalmstadt per Kleinlaster nach Berlin befördert werden. Und dann war innerhalb kurzer Zeit die ganze Kirche umzubauen und die Pyramiden zusammenzubauen. Die Aufführung fand in der Mitte der Kirche statt, das Publikum war seitlich rechts und links der Pyramiden auf gekrümmten Reihen platziert.
Schon diese Anordnung in der hohen und weiten Halle einer über hundertjährigen neogotischen Großkirche und die besondere Beleuchtung war recht eindrucksvoll.
Im Zentrum der Musik stehen die Wellen der Sintflut, die die Menschheit bedrohen.
Frau Aulenkamp ist es gelungen, das Anschwellen und wieder Zurückgehen und abermalige heftigere Anschwellen der Fluten in faszinierender musikalischer Steigerung zu Gehör zu bringen: Der Schlagzeuger in der Pyramide lässt die Erde erzittern, das Klavier wird zum stöhnenden, panischen, wilden Tier, die kleine Querflöte schraubt sich in durchdringende, schrille, sturmpfeifende Höhen hinauf und die Orgel braust chaotisch über und unter und mitten hinein und lässt haushohe Wellenberge sichtbar durch die Kirche branden.
Später verkündet jedes Instrument in Solopartien eine eigene musikalische Botschaft.
Stimmen von Menschen sind zu hören, die sich in Panik auf die Arche gerettet haben und die Absurdität zum Ausdruck bringen, was Menschen in Todesangst zu retten versuchen: Computer, Bankkonten, Goldbarren, Orden, Zigaretten, Memoiren, Rosenkränze, Horoskope, Ipods, …
Gottes Vernichtungsbeschluss wird von Theo Hoffmeyer als befremdende Litanei gesungen und wirkt von der Orgelempore deklamert besonders eindrucksvoll.
Am Ende wird das Stück leise und schließt eindrücklich mit dem abwechselnd gesprochenen Versen des Sonnengesanges von Franz v. Assisi: „Selig sind die ausharren im Frieden…“
Die uralte in vorbiblischer Zeit schon im ganzen Vorderen Orient verbreitete Sintflutgeschichte trifft eine verblüffende prophetische Aussage: Bedrohung und Auslöschung der Schöpfung sind nicht Sache Gottes, sondern der Mensch ist der schlimmste Feind des Menschen, seine Gier und Bosheit liefert die tiefste Ursache für nahezu jede Erdzerstörung.
Diese uralte Menschheitswarnung bewahrheitet sich heute fürchterlich: Eine Person vermag durch Knopfdruck diese ganze Erde in die atomare Katastrophe zu stürzen, in deren Verlauf unaufhaltsame nukleare Vernichtungswellen alles Lebendige und Natürliche verbrennen, ertränken und in tödlich strahlenden Staub umwandeln. Diese schreckliche Möglichkeiten hat es so bisher noch nie auf Erden gegeben.
Daher ist die Sintflutgeschichte ein zeitloses Gleichnis und ein Ur- und Schlüsseltext unseres Selbstverständnisses als Menschen. Kein Wunder, dass diese Geschichte im Glaubenshorizont dreier Weltrelis ihren festen Platz hat, bei den Juden, den Christen und den Moslems.
Roswitha Aulenkamp ist es gelungen unsere Menschheitsangst, vor sich selbst – aber auch unsere Begabung der Hoffnung – musikalisch dramatisch in Musik umzusetzen und über die Pyramiden anschaulich zu machen. Ihre faszinierende Komposition hat mir wiederum die Augen für eine ganz spezielle einmalige Eigentümlichkeit von uns Menschen geöffnet:
In uns steckt der Widerspruch, dass wir einerseits Lust, ja sogar Gier nach Katastrophen empfinden – und deswegen existiert auf der Welt eine riesige Katastrophenunterhaltungsindustrie. Andererseits fürchten wir nichts mehr als reale Erdbeben, Tsunamis und das das atomare Inferno.
Der Berliner Aufführungstitel: „Arche Noah landet in Berlin“ ist nicht nur ein Wortspiel, sondern die Musikkomposition von Roswitha Aulenkamp zieht uns hinein in die Mitverantwortung der gegenwärtigen Bedrohung unseres Planeten und regt uns an, jetzt und heute in unserem Dasein und Zusammenleben eine Arche zu finden und zu beziehen, die uns Schutz und Hoffnung und Stärke bietet, die uns antreibt, alles in unseren Kräften Stehende zu wagen, dass Gottes Verheißung am Ende der biblischen Sintflutgeschichte weiter Bestand hat:
Solange die Erde noch steht sollen nicht aufhören Saat u. Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.
Die dramatische Musik der Komposition „Arche Noah“ stößt unser Denken und Tun an, dass diese Erde mit unseren Kindern und Kindeskindern die Chance zu bleiben behält und auch in Zukunft einen Sonnengesang des Franziskus dankbar und begeistert zu beten und zu singen.
Michael Rannenberg ( Pfarrer i.R.)